Im Endspiel standen sich die großen Favoriten TSV Pfungstadt und VfK Berlin gegenüber (3:0 für die Hessen), doch die eigentliche Sensation der deutschen Faustball-Meisterschaft in Ahlhorn war der TSV Calw (Foto: DFBL/Schönwandt). Platz 3 und Bronze für den Bundesliga-Neuling. Für Trainer Thomas Stoll spielte seine Mannschaft ein Turnier nahe an der Perfektion.
TSV Calw – Ahlhorner SV 3:1 (11:5, 11:3, 13:15, 11:8)
Was für ein Debüt auf der großen Bühne: Im Qualifikationsspiel am Samstag gegen den heimischen Ahlhorner SV spürten die 1.300 Zuschauer schon frühzeitig, wer der Chef auf dem Center Court ist: Das Calwer „Löwen-Rudel“ in den orangenen Trikots stand selbstbewusst auf dem satten Grün und legte los wie die Feuerwehr. 5:1, 8:2 und letztlich 11:5 ging der Satz an die Schwarzwälder. Die setzten sogar noch einen drauf: Philipp Kübler, Nick Stoll und vor allem Mathias Zierer standen felsenfest in der Abwehr, Raphael Schlattinger und Bernd Bodler sammelten im Angriff Punkt um Punkt und zeigten freche Trickbälle. Die Ahlhorner um Schlagmann Christoph Johannes fanden kein Rezept. Erst im dritten Satz kamen die Niedersachsen ins Rollen, auch weil sich bei den Calwern Unsicherheiten einschlichen. 6:10 lag Calw bereits zurück, schaffte aber den Anschluss und vergab zwei Matchbälle. Dann war’s geschehen: Ahlhorn verkürzte. Bis Mitte des vierten Satzes waren beide Teams gleichauf. Bodler wollte etwas zu viel, doch Stoll und Kübler hielten Calw im Rennen. Gleich die erste Chance nutzte Schlattinger zum 11:8. Bernd Bodler, der früher mit dem TV Unterhaugstett bereits eine deutsche Meisterschaft spielte (Platz 4), zeigte sich euphorisch im Siegerinterview: „Wir haben uns super gewehrt, hatten ein geniales Zuspiel. Mit Raphael Schlattinger sind wir in zwei Jahren zwei Mal aufgestiegen, jetzt stehen wir hier im Halbfinale. Der Hammer! Danke, Jungs, dass ihr uns und mir diese DM schenkt!“
VfK Berlin – TSV Calw 3:1 (11:1, 6:11, 13:11, 11:8)
Der Vorjahres-Meister VfK Berlin, ein Team mit sehr großer Turniererfahrung, stand am Samstagnachmittag gegenüber. Und der abgezockte Favorit aus der Hauptstadt ließ die jungen Burschen aus dem Süden erst mal alt aussehen. Weder die Angreifer noch die Dreier-Abwehrreihe bekamen den Gegner mit dem brandgefährlichen National-Schlagmann Lukas Schubert in den Griff. Der VfK erteilte eine wahre Lehrstunde: 11:1. Die Kunst in der kurzen Pause war nun, den „Reset-Knopf“ zu finden. Es gelang: Schlattinger drosch wieder seine Asse, Zierer, Stoll und Kübler reagierten grandios, Bodler gelangen Kurzbälle. 8:2 führte Calw, bei 11:6 war der Satzausgleich geschafft. Nun entwickelte sich ein hochklassiges Match. 5:2 für Calw, Schubert glich im Alleingang aus, Berlin ging in Führung (6:8). Dann drehen die TSV-Mannen wieder auf (10:8), der VfK konterte. Bei 10:10 misslang ausgerechnet dem bis dahin traumwandlerisch sicheren Zierer ein Zuspiel. Calw glich zwar noch mal aus, verlor aber doch. Auch in Satz 4 das gleiche Bild: Die Calwer sind nahe dran am Titelverteidiger, in der Endphase aber zeigt Schubert individuelle Klasse. Berlin jubelte. „Die haben uns am Anfang zusammengeschossen“, meinte Bernd Bodler. „Knackpunkt war aber, dass wir die zwei Satzbälle im dritten Durchgang nicht nutzten, sonst wäre sogar der Finaleinzug drin gewesen.“
TV Schweinfurt-Oberndorf – TSV Calw 2:3 (13:15, 8:11, 11:8, 11:9, 10:12)
Im „kleinen Finale“ am Sonntag entwickelte sich ein Match, von dem die Beteiligten und die rund 1.700 Fans wohl noch eine Weile schwärmen werden. Fünf Sätze, vollgepackt mit Spannung, Spektakel und Dramatik. Der Meisterschaftsneuling wirkte von Beginn an frischer und zeigte vor den großen Namen auf der anderen Seite wenig Respekt. Zwar punktete Hauptschlagmann Oliver Bauer auf TVO-Seite ständig mit scharfen Angaben und langen Bällen, doch Raphael Schlattinger hielt dagegen, platzierte seinen Service immer wieder neben die langen Beine des Zwei-Meter-Riesen. 6:7 lag Calw zurück, ehe vier Punkte in Folge gelangen. Doch die drei Satzbälle gingen verloren, ein heißer Kampf ging in die Verlängerung. Schlattinger servierte zweimal per Ass und die vielen Calwer Fans auf der Tribüne jubelten. Mit diesem knappen Satzgewinn im Rücken spielten die Hessestädter nun befreit auf, führten schon 10:5 und machten mit 11:8 alles klar.
Eine Wendung schien die Begegnung in der Folge zu nehmen: Der herausragende Oberndorfer Regisseur Fabian Sagstetter übernahm immer häufiger die Verantwortung. Dazu brachte bei 6:7 aus Calwer Sicht eine umstrittene Schiedsrichterentscheidung Schlattinger aus dem Konzept. Nichts ging mehr und der Gegner verkürzte. Als Bronze schon zum Greifen nah war – Calw führte 8:5 im vierten Satz – zeigten Sagstetter und Abwehrspieler Jaro Jungclaussen ihr Können. Die Franken drehten das Ergebnis, Calw musste den Satzausgleich hinnehmen. Die jungen Abwehrspieler ließen die Köpfe hängen, doch die Leader Schlattinger und Bodler sowie Trainer Stoll und Betreuer Dennis Gruber fanden die passenden Worte zum Showdown: Als Calw 4:2 führte, lag plötzlich Raphael Schlattinger flach – Wadenkrampf. Eine Behandlungspause durch Physiotherapeut Philipp Löwe brachte den Schweizer aber wieder auf die Beine. 6:4 führte Calw beim letzten Seitenwechsel, kurz darauf 9:7. Bei 9:8 erlebte das Publikum einen Ballwechsel, wie man ihn nur alle paar Jahre zu sehen bekommt. Unglaubliche Rettungsaktionen, Trickbälle, Flugeinlagen – und der Ausgleich für die Schweinfurter. 1.700 Zuschauer spendeten für dieses Spektakel stehende Ovationen. Den ersten Matchball holte Schlattinger mit einem krachenden Ass, der TVO glich aus. Doch der Schweizer Linkshänder zeigte erneut Nervenstärke, punktete mit einer langen Angabe ausgerechnet über den herausragenden, provokant offensiv stehenden Sagstetter. Oliver Bauer konnte nicht mehr kontern, servierte mit seinem erst dritten Angabenfehler ins Aus. Der Rest war Calwer Jubel.
Platz 3 bei der deutschen Meisterschaft für Nick Stoll, Raphael Schlattinger, Mathias Zierer, Bernd Bodler, Nico Stoll, Lukas Gruner, Philipp Kübler, Leandro Schmidberger.
Stimmen
Raphael Schlattinger: „Ich hatte eigentlich erwartet, dass unsere jungen Spieler bei ihrer ersten Meisterschaft nervös sind. Aber was mein Team hier gezeigt hat, war fast schon übermenschlich. Nach dem Wadenkrampf im Endspiel hatte ich bei jeder Sprungangabe Schmerzen. Ich dachte mir: jetzt nur noch durchbeißen! Ein weiterer Satz wäre sicher nicht mehr gegangen.“
Bernd Bodler: „Was für ein geniales Spiel um Bronze. Das war ein Highlight in meinem Leben! Unser Zuspiel war super, dadurch hatten wir vorne eine geringe Fehlerquote. Oli Bauer und der geniale Fabian Sagstetter haben es uns schwergemacht. Aber auch nach dem Ausgleich für den TVO hatte ich nie befürchtet, dass wir das Spiel abgeben. Wichtig war, in dieser Krisensituation positiv und laut zu bleiben. Wir waren wirklich ein Team. Auch unsere Männer an der Seitenlinie haben, obwohl sie keinen Einsatz bekamen, nie die Schnute runtergezogen. Es war ein Mega-Erlebnis.“
Thomas Stoll: „Eine solche Stimmung habe ich selten erlebt. Der Platz war super, das Publikum sowieso. Na ja, und dann unser sportlicher Auftritt mit einem überragenden Abschluss! Wir haben kämpferisch und spielerisch alles aufs Spielfeld gebracht, was wir uns vorgenommen hatten. Gegen Ahlhorn souverän gewonnen, gegen Berlin fehlte nur ein Quäntchen. Und heute: Raphael mit fünf Angaben-Assen im letzten Satz, unglaublich. Was Bernd Bodler hier abzieht und die Abwehr reißt, das war alles nahe an der Perfektion.“
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